
Neun Pflichtspiele gab es zwischen dem VfB Lübeck und dem 1. FSV Mainz 05 in der Vergangenheit, acht davon fanden in der 2. Bundesliga statt. Der VfB gewann dabei die beiden Spiele in der Saison 1995/96, in den drei anderen Jahren gab es ein Unentschieden und fünf Niederlagen. Das neunte Duell ist noch am besten in Erinnerung. Im DFB-Pokal der Saison 2009/10 empfing der Regionalligist VfB, der in der Insolvenz jede Einnahme gut gebrauchen konnte, den Bundesliga-Aufsteiger aus Mainz.
7.898 Zuschauer hatten an diesem Freitagabend auf der Lohmühle anfangs wenig Hoffnung auf eine Sensation. Mainz war klar spielbestimmend, erzielte aber nur aus einer Ecke durch Niko Bungert ein Tor. „Einstellung und Aufstellung hatten sich geändert“, stellte Nord Sport nach der Pause fest. Der gerade neu zum VfB gekommene Mittelfeldspieler Rolf Landerl wechselte vom Flügel ins Zentrum und nahm die Zügel in die Hand. Der eingewechselte Nico Schrum traf mit einem Schuss an den Innenpfosten schon wenige Minuten nach der Pause zum 1:1. Die besseren Chancen hatte fortan der Außenseiter, das Publikum peitschte die Mannschaft nun richtig nach vorn. „Die Mainzer hatten erwartet, dass wir nach 70 Minuten einbrechen“, sagte VfB-Trainer Peter Schubert. „Aber wir hatten von da an die besseren Aktionen.“ Weil Moritz Marheineke, Bastian Henning und Landerl aber bei ihren Möglichkeiten keinen zweiten Treffer nachlegten, ging es in die Verlängerung.
Nun hatte der VfB endgültig Oberwasser. In der 94. Minute traf Jakob Sachs mit einem abgefälschten Schuss zum 2:1. In der letzten halben Stunde verteidigte der VfB den Vorsprung gegen zunehmend einfallslose Mainzer. „Der Bundesligist wurde regelrecht überrannt, schuf in der Offensive keine Entlastung und hatte nach dem Ausgleich nichts mehr hinzuzusetzen“, erklärte der Kicker. In der Verlängerung hatten einzig Karhan und Milorad Pekovic noch zwei Schusschancen, mit denen Nourreddine Semghoun im Lübecker Tor allerdings nicht zu überraschen war. Die größte Chance der restlichen Spielzeit hatte Henning, der nach Sachs-Vorarbeit in der 101. Minute knapp verzog.
„Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt“, staunte Rolf Landerl. „Diese DFB-Pokalrunden habe ich oft am Fernseher erlebt und mich gefragt, wie diese Überraschungen möglich sind. Heute habe ich es selbst erlebt.“ Die jungen VfBer erlebten eine ausgelassene Lohmühlenparty. „Jubeltänze auf dem Rasen, Bierduschen vor laufender Kamera, verspritzte TV-Kameras, die die Jubelfeierlichkeiten in der Kabine filmten – auf der Lohmühle war alles so, wie es gemeinhin bei Pokalsensationen ist“, beschrieb Nord Sport und stellte fest: „Pokalcoup saniert den VfB Lübeck“. Zumindest leistete dieser Abend einen großen Anteil dazu, dass die noch laufende Saison im Verlaufe der Saison beendet werden konnte – freilich ohne dass der Verein danach nachhaltig saniert gewesen wäre. Präsident Wolfgang Piest strahlte aber an diesem Abend zu Recht: „Sensationell. Das ist ein geiles Gefühl. Das Team um Peter Schubert hat hier etwas Tolles geschaffen. Und das ist der Lohn für diese gute Arbeit.“ In der 2. Runde kam schließlich Champions-League-Teilnehmer VfB Stuttgart auf die Lohmühle – und auch die Schwaben hatten ihre Probleme, siegten nach 70 Minuten in Rückstand aber in der Verlängerung noch mit 3:1.
Bei Erstrunden-Verlierer Mainz 05 war direkt nach dem Bundesliga-Aufstieg Krisenstimmung angesagt. Noch vor dem ersten Bundesliga-Spieltag wurde Trainer Jörn Andersen beurlaubt. Als Nachfolger nominierte der FSV seinen A-Jugend-Trainer, der sich als Erfolgscoach entpuppte. Der Name des damaligen Mainzer Nachwuchscoaches: Thomas Tuchel.
VfB Lübeck: Semghoun – Gebers, Wehrendt, Marheineke, Hohnstedt – Helmke, N. Lange – Lindner (46. Henning), Landerl, Sachs – Richter (50. Schrum, 120. G. Lange). – Trainer: Schubert.
Mainz 05: Müller – Hoogland, Bungert, Noveski, Löw (97. Hyka) – Karhan, Ivanschitz – Heller (87. Pekovic), Soto – Hamza (64. Schürrle), Bogavac. – Trainer: Andersen.
Tore: 0:1 Bungert (19.), 1:1 Schrum (56.), 2:1 Sachs (94.) – SR: Thorsten Schriever (Otterndorf) – Zuschauer: 7.898 – Gelbe Karten: Landerl – Heller, Bogavac, Schürrle.
Foto: (c) VfB Lübeck